(5.1.1)  Haus Zirnité


Anschrift: Greiz, Rudolf-Breitscheid-Straße 15
Bauherr: Alexander Zirnité, Fabrikbesitzer in Greiz
Baujahr: 1926/27
Architekt: Louis Richter, Greiz (BLASE)
Maurerarbeiten: Hermann Cramer, Greiz-Irchwitz (RECK)
Restaurierung: 2009-2011
Bauherr der Restaurierung: „Wohnen 55 plus Greizer Neustadt“ GmbH & Co.KG

Foto: RECK 2004

Unser zweites Bild ist eine historische Aufnahme, die wenige Jahre nach der Erbauung des Hauses Zirnité entstanden sein muss. Das Gebäude wird als „N.S. Schwesternschule“ bezeichnet und war somit nicht mehr in Besitz und Nutzung der Familie Zirnité. Auf den Zeitraum 1933 bis 1945 deutet die links auf dem Bild erkennbare Beflaggung hin.
Wir sehen das stattliche Eckgebäude mit seiner originalen Einfriedung, die aus Säulen und Sockel, bestehend aus Kunststein und aus glatten, unverzierten eisernen Zaunfeldern zusammengefügt war. Der Standort des Fotografen ist erhöht. Wir nehmen an, dass von der gegenüberliegenden Villa Ernst Schilbach aus fotografiert wurde.
Das Gebäude hat ein Kellergeschoss, zwei Wohnetagen im Hochparterre und im ersten Stock sowie ein imposant wirkendes Mansardenwalmdach. An beiden Straßenfronten beleben dreizügige Risalite die Fassaden. Die beiden Hauptetagen sind durch besondere Geschosshöhe ausgezeichnet, die sich auch in der Größe der Fenster ausdrückt. Mit Ausnahme einfacher Fenstereinfassungen wurde auf Fassadendekor weitgehend verzichtet. Dadurch wirkt das Gebäude auch heute noch geradezu modern und elegant. Die gesamte Fassade war mit einem grauen Edelputz versehen. Offene Backsteinflächen gibt es nicht.

Mit seinem Baujahr 1926/27 ist Haus Zirnité einer der letzten Neubauten vor dem zweiten Weltkrieg in der Greizer Neustadt. Der Architekt Louis Richter pflegte den damals modernen Reformstil. Er errichtete u.a. in der Zentastraße 4 und in der Rosa-Luxemburg-Straße 48 Wohngebäude (BLASE 1995-98). Am Gründerzeitgebäude Villa Harnack, Zentastraße 1, nahm er im Jahre 1930 einen modernisierenden Umbau vor.

Der Bauherr Alexander Zirnité (1863-1931) war Mitbesitzer der Firma Zirnité & Kolbig, Kammgarnweberei. Die Fabrikationsgebäude befanden sich in der Reichenbacher Straße 101. Zirnité war Besitzer der Villa Wilhelm Eilers, Rudolf-Breitscheid-Straße 7, wo er auch mit seiner Ehefrau wohnte. Für seine beiden erwachsenen Tochter und deren Familien ließ er das Haus in der Rudolf-Breitscheid-Straße 15 errichten. Beide Töchter nahmen von dem modernen neuen Haus Besitz und zogen ein. Im Adressbuch von 1930 werden, wie damals üblich, die männlichen Haushaltsvorstände als Bewohner genannt. Es waren dies Reichsbankrat Hermann Dreimann und Kaufmann Fritz Mothes (RECK 2004), die beiden Schwiegersöhne Zirnités. Die glückliche gemeinsame Nutzung des Hauses währte indessen nicht lang. Marie Mothes, geb. Zirnité, die eine Tochter des Bauherren, verstarb noch jung, im Alter von nur 41 Jahren, im Jahre 1935. Laut Adressbuch 1937 wohnten beide Familien, Mothes und Dreimann, nicht mehr im Haus Zirnité. Das prachtvolle, noch neue Gebäude wurde von den Nachkommen Zirnités aufgegeben. Kaufmann Fritz Mothes orientierte sich nach dem Tod seiner jungen Frau neu und baute in Irchwitz noch einmal eine neue Villa (damalige Straßenbezeichnung Langemarckstraße 4). Familie Dreimann, die Familie der zweiten Zirnité-Tochter, zog ins Elternhaus Rudolf-Breitscheid-Straße 7. Alexander Zirnité (1931) und Ehefrau Meta Zirnité (1936) waren verstorben. Die Eheleute Meta und Alexander Zirnité sowie Tochter Marie Mothes geb. Zirnité sind auf dem Greizer Neuen Friedhof in der Grabstatte Zirnité bestattet. Kaufmann Hermann Dreimann wird im Adressbuch 1937 als Bewohner des Hauses Rudolf-Breitscheid-Straße 7 ausgewiesen.

So kam es, dass Haus Zirnité bereits wenige Jahre nach der Erbauung von seinen ursprünglichen Besitzern und Bewohnern verlassen wurde. Es diente im Verlauf der Jahrzehnte wechselnden Nutzungen: N.S. Schwesternschule (RECK 2004), medizinische Einrichtungen, Gewerbebetriebe, Wohnungen. Die ehemals herrschaftlichen Wohnungen, die sich jeweils über eine ganze Etage des großen Hauses erstreckten, wurden geteilt. Im zweiten Weltkrieg wurde Haus Zirnité als eines der wenigen Gebäude von Greiz durch kriegerische Ereignisse beschädigt. Durch Bordbeschuss eines alliierten Fliegers entstanden größere Putzschäden am Risalit der Nordfassade. In den 1950er Jahren wurden diese Schäden beseitigt. Zugleich erhielt das gesamte Gebäude einen neuen hellblauen Anstrich. Der ursprünglich graue Edelputz mit kristalliner Struktur wurde mit Fassadenfarbe bedeckt.

Foto: Sammlung Rudolf

In den 1950er Jahren überschwemmten zwei Hochwasser die Greizer Neustadt. Auch Haus Zirnité
wurde in Mitleidenschaft gezogen, jedoch ohne dass das Gebäude davon bleibenden Schaden nahm.

In den Anfangsjahren des neuen Jahrtausends kam es zum Leerstand des Gebäudes.
Wir zeigen einige Aufnahmen aus dieser Zeit:


Ansicht aus nordöstlicher Richtung. Die alte Einfriedung mit den Kunststeinsäulen. Links die damalige Eingangspforte. An der linken Gebäudeecke befindet sich noch die Halterung einer Hofbeleuchtung aus
der Entstehungszeit des Gebäudes. Darunter ist eine Hoflampe neueren Datums zu sehen.


Obere Etage und Mansardenbereich


Frühere Einfahrt und Eingangspforte


Der Hof an der Ostseite. Der Hof ist mit kleinformatigem Bürgersteigpflaster belegt.
Im Hintergrund ist eine Mauer an der Grenze zum südlichen Nachbargrundstück zu sehen. Am Kellergeschoss
des Gebäudes befindet sich ein Granitsockel. Die Brüstung zum Hochparterre besteht aus Kunststein.


Südlich des Gebäudes stand unmittelbar an der Grundstücksgrenze die Bebauung des Nachbargrundstücks.
Etwa in der Mitte des Bildes sind die Reste der früheren Müllgrube zu erkennen.


Ansicht von der Rosa-Luxemburg-Straße. Es ist zu erkennen, wie
die südliche Nachbarbebauung das Haus Zirnité beengt.


Fensterpartie, davor Wildwuchs

In den Jahren 2009 bis 2011 wurde Haus Zirnité auf Initiative von „Wohnen 55 plus“ Greiz, restauriert und
für die Bewohnung durch Senioren umgebaut. Die Arbeiten sind inzwischen erfolgreich abgeschlossen.
Das Haus ist wieder bewohnt.


Der nördliche Risalit


Rechts der westliche Risalit


Nordöstliche Gebäudekante


Ansicht von Nordwest. Reste der alten Einfriedung sind noch zu erkennen. Die südliche Nachbarbebauung
steht nicht mehr. Das restaurierte Haus Zirnité mit seinen neuen Balkonen steht frei.


Blick von der Rosa-Luxemburg-Straße. Die südliche Seite des Hauses Zirnité steht völlig frei. Der hohe steile Dachgiebel des Südflügels, der zum Nachbarhaus überleitete, wurde gewalmt. Die Südwand des Südflügels,
die wegen der früheren Nachbarbebauung fensterlos war, wurde auf drei Etagen mit neuen Fenstern versehen.


Ansicht von Nordwest mit neuer Einfriedung


Ansicht von Nordwest von näherem Standpunkt aus


Neu eingedecktes Mansardenwalmdach


Westrisalit


Nordrisalit


Westrisalit mit Südflügel


Obere Etage des Südflügels aus Richtung West


Untere Etage des Südflügels

I
Nordfassade aus nordöstlicher Richtung


Nordwestkante aus nördlicher Sicht


Nordwestkante aus westlicher Sicht


Nordostkante mit anschließendem Garten. Im Hintergrund der Hainberg.


Nordöstliches Ende des Gartens


Ansicht aus Nordost mit neuer Einfriedung. Die frühere Einfahrt wurde verlegt.


Südfassade mit Altan über der Eingangsloggia


Brüstung des Altans. Die originalen Blumenkästen wurden bewahrt.


Eingangsloggia


Eingangsloggia, darüber der Altan


Blick aus der Eingangsloggia


Säule der Eingangsloggia


Einzelnes Fenster des Hochparterres. Die originalen früheren Doppelfenster mussten ausgewechselt werden.
Die nachgefertigten Fenster wurden stilistisch an die ursprünglichen Fenster vorbildlich angeglichen, so dass sich für die Fassaden eine hervorragende Wirkung ergibt.


Kleines Treppenhausfenster mit Bleiverglasung von außen


Großes Treppenhausfenster von außen


Blick in den oberen Teil der Eingangsloggia


Blick auf die südliche Giebelwand, an die sich ursprünglich unmittelbar ein Nachbarhaus anlehnte.
Ein Mansardendurchbruch wurde vorgenommen und eine stählerne Balkonanlage installiert.


Südliche Giebelwand mit neuen Balkonen, Treppenhaus, Eingangsloggia und ehemaliger Küchentrakt.
Diese gesamte Südfassade des Hauses Zirnité war ursprünglich von der Rudolf-Breitscheid-Straße aus
nicht sichtbar, weil sie durch ein Nachbarhaus verdeckt war.


Südansicht mit Parkplätzen 


Treppenhaus, Eingangsloggia und ehemaliger Küchentrakt 


Die Haustür in ihrer originalen Form mit dem ursprünglichen Füllungsgitter


Teil der geöffneten Haustür


Teil des Füllungsgitters der Haustür


Bleiverglastes Treppenhausfenster 1, innen


Bleiverglastes Treppenhausfenster 2


Bleiverglastes Treppenhausfenster 3


Bleiverglastes Treppenhausfenster 4


Bleiverglastes Treppenhausfenster 5.
Die Treppenhausfenster wurden sorgfältig restauriert und an ihrem ursprünglichen Ort eingesetzt.


Treppenhausfenster mit Betätigung für das Oberlicht


Granitstufen vom Portal zum Hochparterre 1


Granitstufen 2


Granitstufen 3


Treppenabsatz im Hochparterre mit original erhaltenen Fliesen und Heizungsverkleidung


Originale Fliesen aus der Entstehungszeit


Fliesenornament zu einem Ring zusammengefügt


Rhombisches Fliesenornament


Fliesenornament mit zwei Halbkreisen


Korridortür im Hochparterre


Oberlicht der Korridortür


Füllungsscheiben der Korridortür


Hölzerne Säule am Beginn des Treppenaufgangs


Die ersten Stufen des Treppenaufgangs


Treppenaufgang 1


Treppenaufgang 2


Treppenaufgang 3


Treppenaufgang 4


Treppenaufgang 5


Treppenaufgang 6
Der originale Treppenaufgang wurde restauriert. Er zeigt seine unverfälschte Eleganz.


Blick ins Treppenhaus nach unten


Korridortür im Mansardengeschoss

Das Äußere des Hauses Zirnité und das Treppenhaus wurden wundervoll restauriert. Ein Fahrstuhl wurde unauffällig eingebaut, ohne das Treppenhaus zu verletzen. Die ursprünglichen herrschaftlichen Wohnungen, die sich über die beiden Hauptetagen erstreckten, wurden nicht wieder hergestellt. Die Raumaufteilung wurde zugunsten der Schaffung kleiner, seniorengerechter Wohneinheiten verändert.
Haus Zirnité wurde im Ergebnis der Restaurierung zu einer Zierde der Greizer Neustadt. Als Beispiel des in die Zukunft weisenden nachgründerzeitlichen Reformstils ist es eine Sehenswürdigkeit. Wir danken Herrn Dr. Gunter Klötzner für die Erlaubnis, die vorgelegten Fotos anzufertigen, für die Überlassung von Auszügen aus dem Baugutachten RECK 2004 sowie für wertvolle Informationen.


Ansicht von der Kreuzung Rudolf-Breitscheid-Straße/Nahmmacherstraße

Quellen:
* RECK, Dr. Hans-Hermann, Wiesbaden: Bauhistorisches Gutachten über Haus Rudolf-Breitscheid-Straße 15,
Greiz, 2004, Untere Denkmalschutzbehörde Greiz
* BLASE: s. Impressum
* Sammlung Rudolf

Stand 2013