(2.3.7) Stadtkirche St. Marien
Anschrift: Greiz, Burgplatz
Inhalt:
* Baugeschichte
* Zweckbestimmung und Äußeres der Kirche
* Der gründerzeitlicher Ausbau
* Glasmalereien
* Ausstattung
Baugeschichte
1225 Ersterwähnung der Kirche St. Marien zu Greiz
1734 – 1739 Neubau als barocke Hallenkirche durch Andreas Adam
1802 Vernichtung der Kirche einschließlich Barocker Innenausstattung und einer Silbermannorgel durch Stadtbrand, nur die Außenmauern bleiben stehen
1803-1805 Wiederaufbau in den äußeren Formen des Barock, Innenausstattung klassizistisch, durch Architekt Friedrich Schuricht
1903 Umgestaltung des Inneren der Kirche durch Oscar Mothes, Zwickau im Gründerzeitstil. Mothes war auch der Architekt der → Gründerzeitkirchen in Pohlitz und → Herrmannsgrün.
(G.H.,S.K., KLEIN )
Fürst Heinrich XXII. Reuß ä.L., verstorben 1902, der den Greizer Kirchenbau engagiert förderte, erlebte die Restaurierung und Umgestaltung der Kirche nicht mehr.
Zweckbestimmung und Äußeres der Kirche
Stadtkirche in Greiz. Hauptkirche der evangelisch-lutherischen Landeskirche im Fürstentum Reuß ä.L., Hofkirche der Fürsten Reuß ä.L. an der Residenz, dem Unteren Schloss in Greiz
Jetzige Nutzung: Kirche der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Greiz
Das Innere der Kirche kann nicht in seiner ganzen Pracht gezeigt werden, da zum Zeitpunkt des Besuchs (März 2011) die Restaurierung des Fußbodens im Kirchenschiff und des Gestühls im Gange ist.
Unser Startbild zeigt St. Marien von Nordwest. Dem Kirchenschiff vorgelagert ist das nördliche Treppenhaus zur Erschließung der Emporen.
Ostseite des Turms. Wir sehen die kupferne Barockhaube mit
Laterne und das goldene Bekrönungskreuz
Südseite, vom Hof des Ida-Palais aus
Modell der Kirche, im Inneren aufgestellt
Der gründerzeitliche Innenausbau
Blick zum Altar. Wir sehen die klassizistische Grundstruktur
mit der gründerzeitlichen Überformung.

Foto: Sammlung Sven Klein
Altar vor gründerzeitlicher Überformung
Altaraufbau mit Kanzel
Altartisch
Detail des Altartisches
Kanzel über dem Altar
Kanzel schräg gesehen
Kanzelfuß
Verdachung des Altaraufbaus, dahinter Festons
Verdachung schräg gesehen
Korinthische Kapitelle der Altarsäulen
Verdachung seitlich gesehen
Kapitelle schräg gesehen
Verdachung aus nördlicher Sicht
Altar von der obersten südlichen Empore aus
Altarbild „Jesus als guter Hirte“. Im Zuge der Umgestaltung im Jahre 1903 wurde dieses
neue Altarbild angebracht. Vorher diente als Altarbild eine Darstellung der Kreuzigung.
Cherub über dem Altarbild
Festons über dem Altar
Festons mit Säulenkapitell
Säulenkapitell am Feston
Feston zwischen zwei Cherubim
Cherub
Ornamenttafel mit Weinmotiv rechts des Altars
Ornamenttafel mit Ährenmotiv links des Altars
Dekorbänder an der Altarverdachung
Florales Ornament neben dem Altar
Ornamentband neben dem Altar
Raumdetail zwischen Empore und Altar
Kirchendecke:
Dreigeschossige nördliche Seitenempore
Säulenkapitell an den Emporen
Detail einer Emporenbrüstung
Fürstenloge in der ersten Etage der Südempore
Großes Wappen der Fürsten Reuß ä.L.
Großes Wappen der Fürsten Reuß ä.L. näher
Kleines Wappen der Fürsten Reuß ä.L.
Blick zur Orgelempore mit der 1919 errichteten Orgel der Firma Jehmlich Dresden. Eine
Vorgängerorgel war 1881 eingebaut worden. Diese Jahreszahl trägt das Gehäuse jetzt noch.
Orgel in näherer Ansicht
Orgel mit Emporenbrüstung
Oberer Teil der Orgel mit Verdachung und Bekrönung
Verdachung des Orgelgehäuses mit der Jahreszahl 1881, Baujahr der Vorgängerorgel
Glasmalereien
Im Zuge der gründerzeitlichen Umgestaltung des Inneren von St. Marien wurden
auch zwei große bleiverglaste Kirchenfenster mit farbigen Glasmalereien gestaltet.
Inhaltlich zeigen die Glasmalereien die weihnachtliche Szene der Geburt Christi im
Stall zu Bethlehem sowie das österliche Motiv der Auferstehung Christi. (SCHULZE)
Die beiden großen Bilder sind eingefasst von Ornamentmalereien. Für das Osterfenster ist das Entstehungsjahr 1904 und die Fertigung durch die Kunstanstalt für Glasmalerei Quedlinburg belegt. Man kann davon ausgehen, dass das Weihnachtsfenster zur gleichen Zeit in der gleichen Werkstätte gefertigt wurde. (SCHULZE)
Diese Feststellung wird bestätigt durch LASKE. Er nennt in seinem Werkverzeichnis der Glasmalerei Ferdinand Müller, Quedlinburg, auf Seite 67 unter der Nummer 768 mit Standort Evangelische Kirche St. Marien, Greiz, die Glasmalereien „Anbetung der Hirten“ und „Auferstehung Christi“. Als Entstehungsjahr wird das Jahr 1904 angegeben.
Laut LASKE-Verzeichnis sind die beiden Fenster in St. Marien die einzigen Arbeiten F. Müllers in der Stadt Greiz.
Die Kunstanstalt für Glasmalerei Ferdinand Müller, Quedlinburg, war Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eine große und leistungsstarke Glasmalereiwerkstätte mit etwa 70 Angestellten, die jährlich zahlreiche Glasmalereien schuf und einbaute. Die Firma lieferte auch ins Ausland. (WIKIPEDIA)
Greiz kann sich glücklich schätzen, dass sich in der Marienkirche zwei Fenster aus dieser Werkstatt erhalten haben.
Das Weihnachtsfenster an der Nordseitenwand der Kirche in näherer Sicht. Wir sehen links Maria mit dem Kind. Dahinter stehend, auf das Kind weisend, Josef. Rechts, vor dem Kind kniend ein alter Hirte, dahinter ein Hirtenknabe mit einem Lamm sowie ein weiterer Hirte.
Über der Gruppe schwebt ein Engel mit dem Schriftband „Ehre sei Gott in der Höhe“.
Maria mit dem Kinde
Antlitz der Maria
Jesuskind
Heiliger Josef
Engel mit dem Schriftband
Antlitz des Engels
Kniender Hirte
Hirtenknabe mit Lamm
Dritter Hirte neben Josef
Entsprechend evangelischer Lehrmeinung und Tradition sind Maria und Josef nicht mit einem Nimbus dargestellt. Nur das Jesuskind hat einen solchen.
Eine Besonderheit der abgebildeten Szene liegt darin, dass Josef sich nicht als älterer Mann fromm im Hintergrund aufhält. Josef ist als kraftvolle und selbstbewusste männliche Persönlichkeit in den besten Jahren gemalt und nimmt in der Bildkomposition eine zentrale Stellung ein. Er lenkt die Aufmerksamkeit der Hirten auf die Mutter mit dem Kinde hin.
Die Namensgeberin von St. Marien hat in ihrer Schönheit und Sanftmut auf dem Weihnachtsfenster eine würdige und inspirierende Darstellung erhalten.
Das Osterfenster an der Südwand der Kirche in näherer Sicht. Wir sehen den auferstandenen Jesus Christus über der Graböffnung. In seiner rechten trägt er einen Wimpel mit dem Kreuzzeichen. Zu seiner Linken kniet ein Engel. Im Vordergrund vor dem Grab lagern zwei römische Soldaten, die die Grabstätte bewachen sollten.
Das Osterbild. Der triumphierende Auferstandene steht im Zentrum der Bildkompositionen. Seine Wundmale an den Gliedmaßen und am Oberkörper sind zu erkennen. Der junge Soldat hält wie geblendet die Hand über die Augen und schaut irritiert nach oben. Der ältere Soldat blickt gebannt in die Höhe und macht gleichsam unwillkürlich mit der rechten Hand eine abwehrende Bewegung. Seine Hand ist schon zum Griff gerundet, denn er will zur Waffe greifen.
Brustbild des auferstandenen Jesus
Antlitz des auferstandenen Jesus mit Nimbus
Antlitz in Nahaufnahme. Wir sehen ein fein gezeichnetes, porträthaft gestaltetes edles Gesicht. Die Augen sind weit geöffnet und schauen in die Ferne. Es ist dem Glasmaler gelungen, die Verklärung Jesu zu veranschaulichen. Die körperlichen Spuren erlittener Misshandlungen, namentlich die Verletzungen durch die Dornenkrone, sind getilgt. Dennoch ist dem Gesicht anzusehen, dass der Mann schweres Leid durchgemacht und überwunden hat. Wir glauben, dass diese Glasmalerei aus Quedlinburg künstlerisch wertvoll und ausdrucksstark ist.
Der am offenen Grab kniende Engel
Beide römische Soldaten zu Füßen des auferstandenen Jesus
Älterer römischer Soldat
Gesicht des älteren römischen Soldaten. Der im Schlaf Überraschte
schaut mit schreckgeweiteten Augen, aber auch mit sorgenvoller Mimik.
Nach der Waffe greifende Hand des älteren römischen Soldaten
Jüngerer römischer Soldat
Das Gesicht des jungen Soldaten. Er ist geblendet und schützt seine Augen. Mit Augen, die vor Schreck aufgerissen sind, blickt er auf das, was an dem geöffneten Grab geschieht. Er wirkt verstört, überwältigt, verzagt. Der Mund ist ihm offen stehen geblieben. Er scheint nahe daran zu sein, in Tränen auszubrechen. Was er sieht, ist für ihn unfassbar. Die Gemütsbewegungen, die sich auf dem Gesicht des jungen Soldaten spiegeln, verraten die künstlerische Meisterschaft des Glasmalers.
Die ornamentale Einfassung der beiden Evangeliumsbilder weist die gleiche Gestaltung auf.
Man sieht, beide Fenster stammen aus derselben Werkstatt. Wir zeigen einige Details der glas gemalten Ornamente, die die Evangeliumsbilder würdig ergänzen und zur großartigen Wirkung der Fenster nicht unwesentlich beitragen. Ornamentale Gestaltung im Oberen Rund des Fensters
Cherub im linken Zwickel des Fensterbogens
Cherub im rechten Zwickel des Fensterbogens
Gesichter des linken und rechten Cherubim
Ornamentfläche auf dem unteren Teil des Fensters
Detail der Ornamentfläche
Ornamentfläche mit seitlicher Umrahmung
Osterbild, eingefasst von einem goldenen Rahmen und von Ornamenten
Teile der Umrahmung des Osterbildes:
Die beiden Glasmalereien aus Quedlinburg, die an prominenter Stelle im Altarraum die Kirche St. Marien schmücken, sind Gründerzeitkunstwerke. Die Werkstätte, in der die Bilder geschaffen wurden, hatte ihre Blütezeit in der Gründerzeit, das Entstehungsjahr 1904 liegt zeitlich auf dem Höhepunkt der Wirksamkeit dieses Stils und die genannte Werkstätte pflegte den Gründerzeitstil, was zweifellos zu ihrem damaligen Erfolg beitrug.
Die bleiverglasten Fenster sind hochstehende Kunstwerke. Wir nennen als besondere Qualitätsmerkmale die eigenständige Bildkomposition der beiden Evangelienbilder, die Bewegtheit der Personen, die meisterlich dargestellten Gemütsempfindungen, die inspirierende Gesamtwirkung und nicht zuletzt die eindrucksvolle Gestaltung der die Bilder umgebenden Ornamente. Die beiden Bildwerke stehen würdig in der Reihe der noch erhaltenen Glaskunstwerke von Ferdinand Müller Quedlinburg.
Ausstattung
Die großen Fenster des Langhauses wurden nicht mit Glasmalereien ausgestattet.
Sie wären nicht zur Geltung gekommen, denn die großen dreigeschossigen Seitenemporen verdecken zum Teil die Fenster.
Auch die Ausstattung mit einfachem Fensterglas wurde ansprechend gestaltet.
Gusseiserne Abdeckung eines Heizungsschachtes
Lüftungsgitter:
Türbeschlag
Gusseiserner Aufgang zur Orgelempore
Aufgang zur Orgelempore
Aufgang zur südlichen Seitenempore
Kleiderständer der Sakristei:
‚
Nebentür
Aufhängung einer Tür
Taufbecken:
Leuchter
Altarkreuz für einen Nebenaltar
Wir haben gesehen, dass die in den äußeren Formen spätbarocke Stadtkirche St. Marien, die nach dem Wiederaufbau Anfang des 19. Jahrhunderts innen im klassizistischen Stil ausgestattet war, später in der Innenausstattung durch Umbau eine deutliche gründerzeitliche Stilprägung erfuhr, die auch nach Restaurierung in jüngster Zeit erhalten blieb. Die unterschiedlichen Stileinflüsse fügen sich zu einem eindrucksvollen Ganzen. Höhepunkte der gründerzeitlichen Innengestaltung sind der Altarraum mit Altar und Kanzel, die Orgel, die imposanten Emporen und die Fürstenloge. Besonders hervorzuheben sind die Glasmalereinen des Weihnachts- und Osterfensters im Altarraum von Ferdinand Müller, Quedlinburg.
Wir wünschen der Restaurierung der Kirche einen erfolgreichen Fortgang.
Wir danken Herrn Pfarrer Andreas Hausfeld, geschäftsführender Pfarrer von St. Marien, Frau Manuela Rau, Pfarrsekretärin und Frau Christine Schulze, Gemeindepädagogin i.R. für freundliche Unterstützung und wertvolle Hinweise.
Quellen:
* G.H., S.K. (vermutlich Georg Herz, Sven Klein): Faltblatt „Herzlich Willkommen und Grüß Gott in der Stadtkirche zu Greiz“. Greiz 1990
* Informationstafel „Aus der Geschichte der Stadtkirche St. Marien zu Greiz im Vogtland“ nach einem Vortrag von Sven Klein (undatiert)
* Schulze, Christine: Faltblatt „Ohne Ostern kein Weihnachten – Fensterbetrachtung in der Stadtkirche“. Greiz 2007. Nach einem Vortrag zur Greizer Museumsnacht 2007
* Wikipedia, Stichwort Glasmalereianstalt Ferdinand Müller
* Laske, Frank: Die Glasmalereianstalt Ferdinand Müller in Quedlinburg. Letterado Verlag, Quedlinburg 2009
Stand 2011