(2.1.4) Villa Franz Hermann Dietel
Anschrift: Greiz, August-Bebel-Straße 19
Baujahr: um 1895
Bauherr: Franz Hermann Dietel, 1840-1899, Fabrikant
-> Grabstätte Franz Hermann Dietel -> Firmengebäude Dietel
Architekt:
jetzige Besitzverhältnisse: Privatbesitz
Wir haben bisher fälschlich auf der Grundlage einer nichtzutreffenden Information die Villa der Fabrikantenfamilie ALBERT zugeordnet. Wir stellen nunmehr richtig und gehen davon aus, dass die Villa von der Fabrikantenfamilie Franz Hermann Dietel errichtet wurde. (RIES)
Unsere Hauptquelle, Frau Sabine Ries, wohnte selbst in der Villa, wuchs dort auf und war Patenkind von Bruno Dietel, einem Sohn Hermann Dietels. Er hatte nach dem Tod des Vaters die Leitung der Firma und die Villa als Wohnsitz übernommen. Die Familie unserer Informandin Sabine Ries ist unter dem Namen Lungwitz 1948 in der August-Bebel-Straße 19 nachweisbar. (ADREßBUCH Greiz 1948)
Im Jahr 1892 bestand die Villa noch nicht. Im Adreßbuch 1892 ist sie als Wohnadresse (damals Idastraße 19) noch nicht vertreten. Der Bauherr Franz Hermann Dietel verstarb im Jahr 1899. In dem Zeitraum zwischen 1892 und 1899 muss demnach die Villa entstanden sein. Der Fabrikant Hermann Dietel ist im Adreßbuch 1892 noch in der Brauhausgasse 1 zu finden.
Dietel war der Gründer und Inhaber der Greizer Wollen-Weberei Hermann Dietel Mollbergstraße 22 (vormals Rosengasse). -> Firmengebäude Dietel. Die Firma wurde 1889 gegründet und bestand bis zur Enteignung im Jahre 1948. (SCHNEIDER )
Die Dietelsche Firma ging aus der Firma F.H. Malz, gegründet 1864 hervor. (SCHNEIDER ) Dietel war mit einer Malz-Erbin verheiratet. Seine Ehefrau war Caroline Dietel, geb. Malz (1845-1923). Beide sind in der Grabstätte Hermann Dietel auf dem Neuen Friedhof in Greiz beerdigt. Das Firmengelände der Wollweberei Dietel lag zwischen der Mollbergstraße und der Idastraße (jetzige August-Bebel-Straße). Es reichte somit ganz nah an die Villa Franz Hermann Dietel an der August-Bebel-Straße 19 heran.
Franz Hermann Dietel und seine Ehefrau Caroline hatten drei Söhne, Paul und die Zwillinge Bruno und Alfred. (RIES 2015) Paul Dietel war nicht leitend in der Firma tätig. Er wohnte als Mitinhaber der Firma im Gartenweg 2 (Adreßbuch 1937), später in der August-Bebel-Straße 23. (Gelände der Firma Dietel, Adreßbuch 1948)
Alfred Dietel, ebenfalls Teilhaber der Firma, wohnte mit seiner Ehefrau Isolde im Haus Papiermühlenweg 33. (Adreßbuch 1937) Alfred fiel im 2. Weltkrieg. Seine Witwe Isolde ist 1948 unter der gleichen Anschrift nachzuweisen. (Adreßbuch 1948)
Der dritte der Brüder, Bruno Dietel leitete nach dem Tod des Vaters (1899) die Firma bis zur Enteignung 1948 und wohnte mit seiner Ehefrau Elsbeth in der Villa August-Bebel-Straße 19 (Adreßbuch 1937) Bruno Dietel ist auch über das Fernsprechnetz (Telefonbuch um 1935) unter der Anschrift der Villa nachweisbar.
Die Eheleute prägten somit maßgeblich das Schicksal der Villa. Als beide nach der Enteignung ihre Villa verlassen mussten, kam Ehefrau Elsbeth nicht darüber hinweg und wählte den Freitod. Der tragische Tod der Hausherrin sollte in Erinnerung bleiben. Bruno Dietel verließ Greiz. (RIES)
Der Name Albert ist in den Adressbüchern 1937 und 1948 unter den Bewohnern der Villa Idastraße 19 bzw. August-Bebel-Straße 19 nicht nachweisbar. Die Zuordnung der Villa zur Familie Dietel ist somit zweifelsfrei.
Betrachten wir nun das Villengebäude näher. Es ist eine repräsentative Villa, erbaut im Stil des Gelbklinker/Sandstein-Historismus. Der Sockel besteht aus unregelmäßigen Grünsteinblöcken.
Die Villa zählt zu den hervorragenden Greizer Gründerzeitgebäuden, obwohl sie pflegebedürftig ist. Sie steht auf einem Eckgrundstück und ist von allen vier Seiten von einem Grundstückstreifen umgeben.
Die Hauptfassade ist interessant untergliedert. Rechts und links wird das Gebäude von viereckigen turmartigen Gebäudeteilen flankiert. Vor dem zurückgesetzten Zentralteil befinden sich in beiden Etagen Terrassen. Die untere ist über zwei seitliche Freitreppen zu erreichen.
Links befindet sich eine Einfahrt. In der der Einfahrt zugewandten
Hausseite das prachtvolle Portal, über eine Freitreppe zu erreichen.
An der rechten Seite des Gebäudes befindet sich der zweistöckige
Wintergarten. Alte Schmuckverglasungen sind nicht zu erkennen.
Ostfassade der Villa mit dem Wintergarten.
Der Garten war verwildert. Prächtige alte Bäume mischten sich mit
Wildwuchs, so dass das Gebäude nicht zur Geltung kam.
Nordfassade. Man hat einen guten Eindruck von der Fassade. Man erkennt auch
zwei große bleiverglaste Fenster, auf deren Anblick von innen wir gespannt sind.
Neben sehr gut erhaltenen Sandsteinelementen …
finden sich Strecken starker Verwitterung.
Das schmiedeeiserne Tor sowie die Pforte sind verloren.
Lediglich Reste des alten Zaunes finden sich noch.
Im zweiten Obergeschoss wurden unpassende Fenster eingebaut.
Trotz seines ungepflegten Zustandes beeindruckte das Gebäude
und lässt seine ursprüngliche Schönheit erahnen.
Weitere schöne Details: Teil der Westfassade mit bleiverglasten Fenstern …
Fensterverdachung und darüber befindliche Verkopplung kleiner Fenster
Prachtvolle Portaleinfassung. Das Portal war provisorisch gesichert, aber wir erkannten
trotzdem die schönen Steinmetzarbeiten. Wir sahen auch das merkwürdige Geländer,
das im Rahmen einer zukünftigen Restaurierung hoffentlich entfernt wird.
Großes bleiverglastes Fenster über dem Portal
Weiteres bleiverglastes Fenster der Westfassade
Konsolen und Säulen als Fenstereinfassung
Fenster der Westfassade
Aufwändig eingefasstes Mansardenfenster
Innenbereich
Wir sind nunmehr auch in der Lage, Bilder aus dem Inneren der Villa zu zeigen und
danken für die Erlaubnis ganz besonders Herrn Jan Popp, Greiz.
Bleiverglaste Türfüllungen im Hauptportal
Fliesen
Beispiele von Wandfliesen:
Ätzornamente an einer Fensterscheibe
Stuckarbeiten. Diesen wertvollen Deckenverzierungen ist nicht geholfen, wenn sie mit Farbschichten bedeckt werden. Sie büßen ihre ursprüngliche feine Zeichnung ein.
Täfelungen
Das Holz ist im Verlauf der Jahre stark nachgedunkelt.
Ein heller Anstrich ist aber auch keine Lösung.
Der Wintergarten. Die originale Verglasung ist nicht erhalten.
Bleiverglaste Fenster aus dem Inneren
Weibliche Symbolfigur der Handelstätigkeit mit dem geflügelten
Merkurstab, dem geschnürten Paket und dem Anker als Attribute.
Putten im Oberlicht eines Fensters
Hermes, Schutzpatron der Kaufmannschaft
Hermes, Detail
Ornament aus dem Hermesfenster
Innenfenster
Innentür mit Bleiverglasung
Großes Treppenhausfenster mit Ornament
Treppenhausfenster mit Oberlicht
Innenfenster über der Tür
Treppenaufgang
Fensterbeschlag. Dicke Farbschichten haben die feine Metallarbeit verklebt.
Fenstergriff
Kamin
Teil der Westfassade
Wir konnten das Innere der Villa nur ausschnitthaft zeigen, denn es ist restaurierungsbedürftig. Es wird trotzdem deutlich, dass im Inneren der Villa eine Fülle von Kostbarkeiten des gründerzeitlichen Innenausbaues zu finden ist. Es wäre dringend zu wünschen, dass sie sorgsam restauriert werden.
Historische Aufnahmen
Wir freuen uns, ein historisches Foto der Villa zeigen zu können. Es ist nicht datiert, aber es stammt erkennbar aus besseren Zeiten des Gebäudes. Es dokumentiert, dass seitdem einige Veränderungen vor sich gegangen sind.
Man sieht den intakten Eingangsbereich des Grundstücks mit gemauerten Säulen, einem schmiedeeisernen Tor und einer eben solchen Pforte sowie die Einfriedung. Im Eingangsbereich ist eine üppig bewachsene Pergola zu sehen. Der östliche turmartige, vorspringende Gebäudeteil ist an den Ecken des Daches mit dekorierenden Postamenten, bekrönt mit einer steinernen Kugel, besetzt. Das spitz zulaufende Dach ist mit einem säulenartigen reich verzierten Dachschmuck bekrönt.
Eingangsbereich mit Tor und Pforte
Söller mit Balustrade in der ersten Etage
Der östliche Turm
Oberste Etage und Dachregion des Turmes
Hauptgesims und Dachregion des Turmes
Die großartige, wertvolle Villa Franz Hermann Dietel bedarf dringend der Sanierung.
Wenn sie einst in ihrer ursprünglichen Schönheit erstrahlen wird, wird sie ein besonderer Anziehungspunkt für alle Interessenten der Gründerzeitarchitektur sein.
Wie man hört, hat in jüngster Zeit ein Besitzerwechsels stattgefunden und die Restaurierung hat begonnen. (GRIESER) Wir wünschen der Restaurierung einen guten Verlauf und werden gewiss zu gegebener Zeit über das Ergebnis berichten. Wir danken sehr herzlich Frau Sabine Ries für wertvolle Informationen und die Bereitstellung eines historischen Fotos.
Unter der Bezeichnung:
Prachtvolle Eleganz mit Flair: Herrschaftlich wohnen u. arbeiten in repräsentativer Gründerzeitvilla – https://www.immobilienscout24.de/expose/135586592#/
ist eine interessante aktuelle Bilderserie des Gebäudes zu finden.
Wir danken Herrn Hagedorn für seinen Hinweis. (Nov. 2022)
Quellen:
Ries, Sabine, Berlin-Köpenick, persönliche Mitteilung 2015
Historisches Foto, undatiert, Sammlung RIES
Historisches Adressbuch von Greiz 1937
Historisches Adressbuch von Greiz 1948
Historisches Adressbuch von Greiz 1892 (s. Impressum)
Schneider, Volkmar: Übersicht über die Greizer Webereien, Greiz 2015
Grieser, Katja: Der Retter der Villa. OTZ, 13.3.2015
Telefonbuch Greiz, um 1935
Stand März 2015